Die Erfahrung selbst und sogar die Geschichten, die aus dem Zusammenhandeln der Menschen natürlicherweise entstehen, fallen der gleichen Vergänglichkeit anheim, die das Schicksal des lebendigen Worts und der lebendigen Tat ist, es sei denn, sie werden wieder und wieder besprochen.“Hannah Arendt

Gegen das Vergessen – Ein Brief von Mazlum Çelik

Abschiebungen sind unmenschlich. Abschiebungen sind traumatisierend. Abschiebungen reißen Menschen immer aus ihren Lebenszusammenhängen. Betroffen sind diejenigen, die durch ihre Flucht oder durch die Umstände ihrer Flucht entwurzelt und oft traumatisiert sind.
Abschiebungen sind Alltag in Deutschland und ein wesentlicher Bestandteil hiesiger Flüchtlingspolitik. Abschiebungen funktionieren, weil Politiker, Ausländerbehörden und Polizei meinen, sie hätten nach Recht und Gesetz gehandelt.

Der Saarländische Flüchtlingsrat hat jetzt auf seiner Webseite einen Brief von Mazlum Çelik veröffentlicht, den der Verein kurz vor Weihnachten aus der Türkei erhalten hat. In diesem Brief schildert Mazlum Çelik seine positive Erinnerung an die Zeit in Deutschland und die vielfältigen Probleme, die er bis heute als „deutscher Kurde“ in seinem Leben in der Türkei hat. An dem was Mazlum Çelik beschreibt, wird das ganze Desaster der saarländischen Flüchtlings- und Abschiebepolitik deutlich.

Die Abschiebung der Familie Çelik in die Türkei war seinerzeit einer der Impulse, warum sich 2003 der Saarländische Flüchtlingsrat gründete.

Den vollständigen Brief finden Sie hier

Artikel Saarbrücker Zeitung vom 5.12.2012

Zum Hintergrund:
Am 5. September 2002 wurde die sechsköpfige kurdische Familie Çelik, die 10 Jahre im Ortsteil Gerlfangen der Gemeinde Rehlingen-Siersburg gelebt hatte, in einer dramatischen Aktion durch ein großes Polizeiaufgebot zwischen 4 und 5 Uhr morgens abgeführt und nach Frankfurt zum Flug nach Ankara verbracht. Das Schlimme an dieser Abschiebung war nicht nur die Art und Weise der Polizeiaktion, sondern vor allem die Tatsache, dass die Kinder alle bis auf Mesut, den Ältesten, in Deutschland geboren wurden. Und Mesut fing gerade erst zu sprechen an, als er zweijährig nach Deutschland kam.

Große Teile der Bevölkerung des Dorfes Gerlfangen, in dem die Familie 10 Jahre gelebt hat und gut integriert war, waren damals entsetzt und erbost über die von der damaligen Innenministerin Kramp-Karrenbauer veranlasste Abschiebung. Viele von Ihnen protestierten gegen diese Abschiebung und gründeten einen Unterstützerkreis zur Rückkehr der Familie Çelik, der bis heute den Kontakt zur Familie aufrecht erhält. Der Unterstützerkreis ist auch Gründungsmitglied des Saarländischen Flüchtlingsrates.

Frau Çelik wurde von deutschen Gerichten nicht als politischer Flüchtling anerkannt, obwohl sie bereits als 16-Jährige im türkisch-kurdischen Bürgerkrieg gefoltert wurde. Ihr Vater hatte aufständische Kurden bewirtet, deren Namen die Folterer von ihr erfahren wollten. Diese Tatsache fand in ihrem Asylverfahren allerdings keine Berücksichtigung. Einerseits, weil der Dolmetscher Frau Çelik in der ersten Anhörung vor Gericht anherrschte, „dies (die Folterung) gehöre nicht hierher“ und andererseits hatte der erste Anwalt der Familie es leider versäumt, die Folterung aktenkundig zu machen.
Hinzu kam ein juristisches Vergehen, das in einer Namensfälschung und der Beschaffung falscher Personalpapiere bestand, weil Frau Çelik, die gerade zum zweiten Mal schwanger war, der Weisung der Ausländerbehörde nicht folgen wollte, in eines der neuen Bundesländer umzusiedeln. Die Familie hatte Angst vor rassistischen Übergriffe, wie sie dort bis heute an der Tagesordnung sind.